Cyrill Bolliger, 04.01.2015
Vattenfall verklagt Deutschland wegen strengeren Umweltschutzauflagen. Deutschland sieht sich gezwungen, die beschlossenen Umweltauflagen rückgängig zu machen. Ein ausländischer Konzern hat das Land regelrecht erpresst. Passiert solches bald auch mit der Schweiz?
Hamburg erteilt 2008 dem schwedischen Energiekonzern Vattenfall eine endgültige Genehmigung für das im Bau befindliche Kohlekraftwerk Moorburg, jedoch mit strengeren Umweltauflagen. Wegen den Umweltauflagen verlangt Vattenfall laut die Zeit 1.4 Milliarden Euro Schadenersatz. Dabei überspringt Vattenfall den Weg der nationalen Gerichte und wendet sich direkt an das internationale Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID) in Washington DC und verklagt somit gleich die ganze Bundesrepublik Deutschland.
Möglich ist dies dank einem Investitionsschutzabkommens zwischen Deutschland und Schweden. Dieses soll – wie alle Investitionsschutzabkommen – den ausländischen Investor vor Enteignung und diskriminierender Behandlung durch das Gastland schützen. Verstösst ein Staat gegen das Abkommen, so kann ihn der Investor vor einem Schiedsgericht (wie Beispielsweise das ICSID) verklagen. Ein solches Schiedsgericht besteht typischerweise aus drei Anwälten, wovon sowohl der Investor als auch der Beklagte je einen Anwalt stellen kann. Der anschliessende Prozess geschieht meist unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Das Urteil ist in aller Regel endgültig und nicht anfechtbar.
Im Streit mit Vattenfall ist Deutschland zum ersten Mal vor einem internationalen Schiedsgericht verklagt worden. Aus Angst vor einem Präzedenzfall knickte Deutschland schnell ein und einigte sich mit Vattenfall auf tiefere Umweltstandards. Die Hamburger Regierung, welche eigentlich für die Genehmigung zuständig gewesen wäre, musste davon aus der Presse erfahren. Ihre Umweltauflagen sind nichtig geworden.
Was ist hier passiert? Wegen den strengeren Umweltauflagen, hätte Vattenfall die Leistung des Kohlekraftwerkes drosseln müssen. Dadurch wäre der Ertrag geringer ausgefallen als geplant. Vattenfall argumentierte, dass dies einer ungerechtfertigten Enteignung gleich komme und forderte Schadenersatz. Dies obwohl die für die Genehmigung zuständige Behörde bereits vor Baubeginn seine Zweifel angemeldet hatte und noch keine endgültige Genehmigung ausstellte. Erst die neue Regierung erteile die endgültige Genehmigung, allerdings mit strengeren Auflagen. Vattenfall war also vorgewarnt und hatte zudem nie eine Bewilligung mit tieferen Umweltstandards. Trotzdem sah sich Deutschland gezwungen die Umweltauflagen rückgängig zu machen. Durch das Investitionsschutzabkommen hat sich Deutschland auf absurde Weise erpressbar gemacht.
Auch die Schweiz kennt solche Investitionsschutzabkommen, ganze 120 an der Zahl. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) rühmt sich weltweit das «drittgrösste Netz solcher Abkommen» zu haben. Die meisten dieser Verträge beinhalten – wie im Fall vom Vattenfall – das Recht für ausländische Investoren via geheimes Schiedsgericht gegen Gesetze, welche den Gewinn ihrer Investitionen schmälern könnten, vorzugehen. Noch ist die Schweiz meines Wissens nicht angeklagt geworden. Umgekehrt jedoch sehr wohl. So hat beispielsweise der Konzern Philipp Morris, welcher in Lausanne sitzt, dank eines Schweizer Investitionsschutzabkommens ein Gesetz für grössere Warnhinweise auf Zigarettenverpackungen in Uruguay und Australien erfolgreich bekämpft.
Die Auswirkungen solcher Abkommen sind fatal. So könnte beispielsweise der Rohstoff Konzern Glencore Xstrata mit Sitz in Zug gegen Gesetze, welche seine Minen in Sambia betreffen, vorgehen. Dabei geht es nicht nur um Umweltauflagen, sondern beispielsweise auch um Konzessionsgebühren oder um eine gesetzliche Erhöhung der Mindestlöhne für MinenarbeiterInnen. Durch das Investitionsschutzabkommen zwischen der Schweiz und Sambia, kann sich Sambia nicht mehr gegen die fortwährende Ausbeutung wehren. Ja, im Falle von Sambia könnte Glencore Xstrata sogar Schadenersatz fordern, wenn es in Sambia Bürgerproteste gegen die Glencore Minen gibt.
Konkret heisst dies, auf Grund von Investitionsschutzabkommen kann ein Land nur noch Gesetze erlassen, welche den ausländischen Investoren genehm sind. Der Wille der Bevölkerung ist dabei egal. Strengere Regeln für Schweizer Atomkraftwerke könnten beispielsweise vom französischen Energiekonzern EDF, welcher via Axpo an den Atomkraftwerken Gösgen und Leibstadt beteiligt ist, eingeklagt werden. Die Klagesummen sind horrend.
Laut verschiedenen Zeitungsberichten stieg in jüngster Zeit die Zahl an Klagen explosionsartig an. Die Erfolgsquoten für Unternehmen liegen gemäss Bericht im Infosperber vom 23.06.2012 bei rund 70%. So entscheiden neuerdings drei Anwälte hinter verschlossenen Türen ob ein demokratisch beschlossenes Gesetz gelten soll oder nicht. Kläger sind jeweils multinationale Konzerne. Für die Schweiz bedeutet das: Nicht mehr das Volk hat das letzte Wort, sondern Anwälte im Dienste der Konzerncheffs. Wenn wir diesen Ausverkauf der Demokratie nicht wollen, müssen wir sämtliche Investitionsschutzabkommen mit Schiedsgericht-Klausel vehement bekämpfen!
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PS: Die Schweiz hat übrigens 2004 auch mit Gaddafi (Libyen) ein Investitionsschutzabkommen abgeschlossen. Eine Liste aller Investitionsschutzabkommens sowie der Link zu ihrem Inhalt findet sich hier: http://www.seco.admin.ch/themen/00513/00594/04450/index.html?lang=de&download=NHzLpZeg7t,lnp6I0NTU042l2Z6ln1acy4Zn4Z2qZpnO2Yuq2Z6gpJCDdX12gGym162epYbg2c_JjKbNoKSn6A--
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gelernter Schreiner, Student Energie- und Umwelttechnik
Interessen: Energie, allgemeine Ressourceneffizienz, soziale Gerechtigkeit