Irina Studhalter, 01.02.2013
In Deutschland ist aus einem Skandal um FDP-Politiker Rainer Brüderle heraus eine Sexismus-Debatte entfacht. Die junge Feministin Anne Wizorek führte auf Twitter den Hashtag #Aufschrei ein, der einschlug wie eine Bombe. Bis heute sind fast 100.000 Tweets zu diesem Thema verfasst worden, in denen Frauen von ihren persönlichen Erlebnissen mit alltäglichem Sexismus berichten. Das reicht von sexistischen Witzen über ungewollte Berührungen bis hin zu Vergewaltigungen. Das Thema ist in den deutschen Medien Nummer eins und es gab schon mehrere Talkshows dazu: Jauch, Anne Will und Lanz, sie alle haben sich dem Sexismus gewidmet.
Zehntausende von Tweets und Tausende von Frauen beweisen es: eine Veränderung der heutigen Gesellschaft ist nötig. Der latente Sexismus, der alltäglich auftritt, ist derart selbstverständlich, dass er von den meisten gar nicht wahrgenommen wird. Das beweisen all jene, die Feministinnen vorwerfen, aus einer Fliege einen Elefant zu machen. Die "Herrenwitze" und schlüpfrigen Bemerkungen werden von unserer Gesellschaft akzeptiert. Statistiken zeigen, dass Vergewaltigungen überraschend oft vorkommen, trotzdem erfahren wir persönlich nicht oft davon. Es wird von den Betroffenen versteckt.
In den vergangenen Jahrzehnten ist viel geschehen. Job Sharing unter Eltern hat sich etabliert und es gibt mehr Studentinnen als Studenten. Natürlich dürfen wir das Frauenstimmrecht nicht vergessen, das (erst) 1973 eingeführt wurde. Gleichstellungsbüros wurden eingerichtet, öffneten ihre Tore und verschiedene Angebote für Männer und Väter etablierten sich. Aber Gleichstellung haben wir noch nicht erreicht. Frauen verdienen immer noch viel weniger als Männer, trotz gleichwertiger Ausbildung. Von den Hochschulabschlüssen sind mindestens die Hälfte Frauen, aber nur 13 der 500 grössten Unternehmen werden von Frauen geleitet.
Das alles sind offensichtliche, statistisch nachweisbare Tatsachen. Doch dazu kommt der Alltagssexismus. Wir Frauen finden uns täglich in solchen Situationen wieder. Gerade weil er so alltäglich ist, wird er von vielen nicht wahrgenommen. Nichts destotrotz ist er da: frauenfeindliche Witze, Fittnessstudios, die mit fast nackten Frauen werben, Politikerinnen, die auf ihre (zu anzügliche) Kleidung reduziert werden, Jobs, die regelmässig an Männer vergeben werden und Jobs, die man jungen Frauen vorenthält, weil diese noch Kinder bekommen könnten. Die Vorsicht jeder Frau, wenn sie abends alleine unterwegs ist und wenn sie morgens vor dem Kleiderschrank steht und überlegt, ob das Oberteil zu anzüglich ist. Das Grabschen in der S-Bahn und die vorwurfsvollen Blicke, wenn sich eine Frau nicht mit dem Mann an der Bar-Theke unterhalten will.
Gerade deswegen ist #Aufschrei bitter nötig: unsere Gesellschaft muss Frauen als genau gleichwertig betrachten wie Männer. Ich will ohne Angst abends alleine eine Strasse entlang laufen können und mir nicht überlegen müssen, wie ich mich verteidigen könnte. Ich will von Frauen wie von Männern mit dem gleichen Respekt behandelt und ernst genommen werden. Ich will meine Vorschläge und Ideen nicht hartnäckiger verfolgen müssen als mein Bruder. Ich will keine frauenfeindlichen Witze mehr hören müssen, bei denen die Männer trollig grinsen und die Frauen zu Boden schauen. Und ich will mich frei bewegen können, wo ich will und wann ich will, ohne Angst.
![]() | Irina Studhalter Politikwissenschaft BA, Campaignerin |
---|
Irina Studhalter, geb. 1993, studierte Politikwissenschaft, arbeitet heute in politischen Kampagnen. Schon als kleiner Spross gab sie bei der Kinderlobby Schweiz und als Lobbyistin für die Jugend im Bundeshaus ihren Senf dazu. Seit 2012 tut sie das auch als Feministin und Strategin bei den Jungen G...
Zurück zu allen BlogsAlle Blogs von IrinaMehr zu Irina