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Zwischen Pfefferspray und Kohlebagger

Nicolá Bossard, 18.09.2017

Von abgeholzten Wäldern, Dutzenden zerstörten Dörfern und dem massiven Einfluss der Kohlelobby, welche absehbarerweise die deutschen Klimaziele zunichte machen wird.

Und vom Widerstand dagegen. Ich war dabei, als diesen August tausend Menschen riefen:

„Auf geht’s, ab geht’s…

…Ende Gelände!“ Laut und energievoll schallt die Parole über den Stoppelacker, während eine Gruppe von vielleicht hundert Aktivistis übermütig auf eine Polizeilinie zumarschiert. Die Demonstrierenden sind im Pulk unterwegs, in Reihen geordnet und die Arme mit den Nebenherlaufenden verschränkt. Die Polizei sieht trotz der Helme etwas eingeschüchtert aus, sie halten Schlagstöcke und Pfefferspray in den Händen.

Ein paar Meter vor der Blockade löst sich die Formation auf, die Menschenmenge verteilt sich und versucht an allen Orten durch die Polizeilinie zu brechen. Die Stöcke finden ihre Ziele und einige Menschen gehen mit Pfefferspray in den Augen zu Boden. Der Rest ‚fliesst’ durch die sich öffnenden Lücken durch, die Erfolgreichen brechen in Jubel aus. Barrikade mit leichten Verlusten überwunden, Ziel erreicht – Übung beendet. Die ‚Gefallenen’ stehen wieder auf und grinsen die ‚Polizei’ an, welche wiederum zurücklacht und die Schaumstoffknüppel und Wasserspritzflaschen beiseitelegt. Willkommen im Klimacamp im Rheinland und willkommen zum Actiontraining von ‚Ende Gelände’. 

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Das Klimacamp!

Zustände sind das…

Der irgendwie furchteinflössende, 100 Meter hohe Bagger gräbt sich lärmend in den Boden. Auf seiner Suche nach Braunkohle vertreibt er alles in seinem Weg. Wiesen, Wälder, Tiere. Auch die Einheimischen müssen weichen. Ist ein Dorf über einem Kohlegebiet, werden die Bewohner*Innen einfach umgesiedelt. Vierzig Dörfer mussten schon weichen, einige Menschen haben das Prozedere schon ganze dreimal durchgemacht. Zurück bleibt eine Einöde wie aus einem Endzeitfilm.

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Etwa so sieht’s dann aus… Im Vordergrund eine ‘Ende Gelände’-Menschenkette. Bild: greenpeace.

Zustände wie in China, höre ich jemand sagen - und doch passiert dies im Braunkohlerevier bei Köln. Hier schürft der Energiekonzern RWE im grossen Stil nach Braunkohle, um die grössten CO2-Schleudern von Europa zu betreiben.

Um seine Klimaziele nicht zu verfehlen, dürfte Deutschland gerade mal einen Bruchteil der hier noch zu findenden Kohlevorkommen ausbeuten. Aber danach sieht es im Moment nicht wirklich aus.

Tun wir was!

Am Donnerstagabend machen wir uns auf den Weg. Wir, das ist der ‚grüne Finger’, eine von vielen Gruppen, welcher RWE die nächsten Tage das Leben schwermachen wird. Die gut 150 Leute fahren aber erstmal weg aus dem Revier, vom Klimacamp ins eine Stunde entfernte Köln, wo wir in einem Jugendkulturhaus übernachten. Warum der Aufwand? Die Polizei ist mit schätzungsweise 1’000 bis 1’500 Beamt*innen im Einsatz und könnte uns den Spass ganz schön verderben. Es ist auch klar, dass mehrere Zivilpolizist*innen unter uns sind, um Informationen zu den Aktivitäten zu erhorchen. Deshalb erfahren auch wir Aktivistis erst am Freitagmorgen das genaue Ziel: Eine Kohlebahn, welche ein nahegelegenes Kraftwerk versorgt.

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Der Grüne Finger auf dem Weg. Bilder: Ende Gelände.

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Wir nutzen also das durch unseren Ortswechsel geschaffene Überraschungsmoment, um uns aus der anderen Richtung der Bahn zu nähern. Dieser Plan geht auf: Die Polizei steht nur mit wenigen Leuten bereit, und wir setzen uns unbehelligt auf die Schienen. Einzig bei der darauffolgenden, mehrere Stunden dauernden Räumung werden einige Aktivistis ziemlich hart angefasst. Darauf werden wir fast alle noch am Einsatzort fotografiert, in Busse gesetzt und ins Camp gefahren – die Polizei ist sich bewusst, dass eine so grosse Anzahl Menschen ohne Personalausweis der Mühe einer Identifikation nicht wert ist. Aber wenigstens sind die Freaks nicht mehr auf den Gleisen. Vorerst.

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Sind auch nur Menschen: Die Polizei.

Wess’ Brot ich ess’…

Der Betreiber RWE hat sich über die Jahre enorm viel Einfluss verschafft, erkaufte sich die Gunst der Ansässigen, welche nicht sowieso schon bei ihm angestellt sind – Ein Fussballclub, sponsered by RWE? Danke schön! Das Schützenfest, finanziert von RWE? Aber klar doch! Nicht verwunderlich, dass sich ausser den direkt von Umsiedlungen Betroffenen kaum jemand sperrt. Nicht erstaunlich, hupen uns hier die vorbeifahrenden Autos ständig böse an.

Auch in der Politik des Bundeslandes (Nordrhein-Westfalen, NRW) würde sich niemals eine Mehrheit für einen Kohleausstieg finden, kaum ein*e Politiker*in stellt sich klar gegen die Kohlekraft. Und so produziert NRW auch weiterhin einen Drittel aller deutschen CO2-Emissionen. Dass das Ganze nicht so zum oft beschworenen Bild vom deutschen „Energiewendeweltmeister“ passen will, wen interessiert das schon… Die Regierung stellt sich klar hinter diese „Schlüsseltechnologie“ und schützt die Interessen des Grosskonzerns.

Jetzt setzt’s was…

Deutlicher wird das am nächsten Tag. Mehrere Finger – ich im ‚Goldfinger’ – brechen erneut Richtung Schienen auf. Auf den weiten Feldern gelingt es uns zwar mühelos, die sporadischen Polizeiblockaden zu umgehen und durchfliessen.

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Längerfristig denken, unsere Devise.

Als wir nach 3 Stunden Marsch in die Gegend der Schienen kommen, ist allerdings fertig lustig. Unter Einsatz von Pfefferspray und Schlagstöcken gelingt es der Polizei, den grösseren Teil der gut 1'200 Marschierenden zuerst zu zerstreuen und dann ganz aufzuhalten. Nur 200 bis 300 enden auf den Schienen, der Rest in einem Polizeikessel - so auch ich.

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So nah und doch so fern: Aussicht aus dem Polizeikessel.

Es zeigt sich ebenfalls, was skeptische Geister bei der obigen Schilderung unseres Trainings gedacht haben könnten: ‚Durchfliessen’ einer Blockade von wild brüllenden, Schlagstock schwingenden und gewaltbereiten PolizistEN ist nicht spassig. Auch der Autor trägt eine Schramme davon - ich hatte unseren Freund und Helfer schlichtweg übersehen, bis ich ihn dann gespürt habe. Mit diesem Schlag auf den Unterarm bin ich aber immer noch besser bedient als die paar, welche dann als abschreckende Beispiele ziemlich übel zugerichtet wurden. So wurde auch auf Aktivistis eingeprügelt, welche schon auf dem Boden lagen. Geschichten von einem Knochenbruch machen später die Runde.

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Im Kessel erstmal den Pefferspray abspühlen.

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Und dann etwas chillen. Bei dieser Hitze trägt man besser keine schwarzen Kampfanzüge.

Feindbild gewaltbereite Klimafanatiker

Wohl auch um diese Gewalt rechtfertigen zu können, wurde im Voraus schon viel ‚linksextremistische Gewaltbereitschaft’ heraufbeschworen. Obwohl ‚Ende Gelände’ nicht müde wurde, unseren Aktionskonsens zu wiederholen – wir werden uns absolut gewaltfrei gegen Menschen und Dinge verhalten – stand in Zeitungen wie ‚Die Welt’ von unserer angeblichen Nähe zu den ‚G20-Krawallmachern’ und ‚aggressiv klingenden Ankündigungen’.

Meines Wissens hielten sich ausnahmslos alle an diesen Konsens, was die Polizei aber nicht daran hinderte, die bei der Blockade oder im Kessel friedlich auf dem Boden sitzenden Demonstranten mit teilweise krass übertriebener Gewalt zu entfernen. Dank der Anwesenheit von viel Presse und einer parlamentarischen Beobachtung konnte wohl Schlimmeres verhindert werden. Auch ich hatte meine Kamera dabei und konnte einiges dokumentieren. Ein Zusammenschnitt der Gewalt hat der parlamentarische Beobachter Marco Böhme (toller Typ, Die Linke) auf facebook gestellt.

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Bei Dreadlocks werden die gleich noch etwas ungemütlicher.

Für die Polizei wird sowas kaum Folgen haben – sie sind sich bewusst, dass nur ein kleiner Prozentsatz von Polizeigewalt überhaupt angezeigt wird, wovon dann ein noch viel kleinerer Teil schlussendlich verurteilt wird. Etwas gezielte Eskalation und Abschreckung liegt also durchaus drin.

Und doch…

Ist es uns das wert.

‘Das muss Ihnen doch zu denken geben’ sage ich später an diesem Tag zu einem der Polizisten, der uns aus dem Gebiet herausbegleitet. ‘Es muss Ihnen doch zu denken geben, dass wir diese Gewalt riskieren für unser Anliegen.’ Tatsächlich muss es jeder*m zu denken geben, dass wir unterdessen bereit sind, so weit zu gehen. Lassen sich diese linksgrünversifften Gutmenschen tatsächlich für ein Hirngespinst verkloppen?

Natürlich nicht. Wir haben auch nicht nur ein ‘hehres Ziel’ für das wir halt ‘zu den falschen Mitteln’ greifen. Wir stellen unsere eigenen Körper zwischen Planet und Kapital, weil wir verzweifelt genug sind. Wir übertreten Gesetze, weil die Gesetze uns in diesem Fall nicht zu schützen wissen. Wir berufen uns auf höheres Recht, weil unsere Moral es uns befiehlt. Und die Zukunft wird uns Recht geben, weil der Klimawandel real ist.

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Einige dieser Gutmenschen.

Als ‘pathetisch!’, vielleicht ‘heroisierend!’, aber sicherlich ‘extrem’ wird die öffentliche Meinung solche Ausbrüche meiner, unserer, Antriebskraft bezeichnen und damit lächerlich machen.

Eigentlich ist dies das Meisterstück jeder Öl-Kohle-PR: Es ist uncool, überhaupt über diese Dinge auf diese Weise zu sprechen – und wenn man es doch tut, ist man eben ‘zu pathetisch’ oder einfach nur ein kleines bisschen peinlich.  

Aber sei’s drum, ich wiederhole mich gerne nochmal:

Die Zukunft wird uns recht geben.

Leider.


Weiterlesen und Hintergrundinformationen auf:

der TAZ (über die Aktion)

Freitag (die deutsche Stromproduktion auf den Punkt gebracht)


Über den Autor

Nicolá Bossard

Grossrat Aargau

Was unsere Gesellschaft braucht, ist ein neues, positives Selbst- und Zukunftsbild. Dieses Bild existiert sogar längst, jenseits dessen, was sich viele Politiker immer noch ausmalen, wenn sie "öko" sagen. Eine nachhaltige Lebensweise hat heute rein gar nichts mehr mit Kleidung aus Jutesäcken, ver...

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